Gentlemen
Selbst als perfekt gewandeter Herr im Maßanzug muss man sich bei abendlichen Stehempfängen immer mal wieder vor Sweatshirtträgern in Gesundheitstretern für seine braunen Rahmengenähten rechtfertigen. Die Briten der Upperclass legten einst zum Dinner den Abendanzug an, darauf bezieht sich das Diktum. Daraus wurde abgeleitet, dass man nach 18 Uhr zum dunklen Anzug schwarze Schuhe trägt. Gilt nur noch bei sehr förmlichen Anlässen.
2. No brown in town
Die sinngemäße Übersetzung dieser Regel müsste lauten „kein Braun im Business“, denn die britische Tradition setzt die Stadt mit dem Geschäftsleben gleich. So gesehen ist dieser Spruch gültiger Business-Dresscode. Bei der Freizeit- oder Smart-Casual-Garderobe kann man ihn dagegen vergessen.
3. Nie zwei Muster oder mehr kombinieren
Das ist natürlich Unsinn, man kann ohne Probleme zum Streifenanzug Karohemd und Paisleybinder tragen. Vorausgesetzt, die Dessins sind gut aufeinander abgestimmt. Dabei gilt es nur zu beachten, dass die unmittelbar nebeneinander liegenden Muster sich in Größe und Rhythmus voneinander unterscheiden, also kleines Karo mit großem Paisley. Wer gar keinen Sinn für derlei Feintuning hat, sollte tatsächlich besser Unis tragen.
4. Mann geht vor, wenn er mit einer Dame das Restaurant betritt
Der Herr sollte früher als Einmann-Stoßtrupp das Terrain erkunden, um die Sicherheitszulage zu peilen. In Feinschmeckerrestaurants oder schicken Bars droht allerdings kaum noch Ungemach und miese Spelunken sucht man mit seiner Herzensdame wohl auch nicht auf. Deshalb kann man heute getrost der Frau den Vortritt lassen, zumal viele alles andere auch als unhöflich empfinden würden.
5. Kein Buttondownkragen zum Businessanzug
Dies ist eine Regel aus der Kategorie „Populäre Modeirrtümer“. Das Buttondownhemd stammt aus den USA, um 1900 wurde es vom New Yorker Herrenausstatter Brooks Brothers auf den Mark gebracht. Von Anfang an wurde es als Gegenentwurf zum steifen Kragen der europäischen Tradition zum Sakkoanzug getragen und bis heute ist es ein US-Businessklassiker geblieben. Leider ist das hierzulande nicht jedem bekannt, wer auf Nummer Sicher gehen will, wählt deshalb zum Anzug besser einen anderen Kragen.
6. Bei der Weste wird der unterste Knopf offen gelassen
Einen sachlichen Grund gibt es dafür nicht, nur zwei aus der Historie. Nr. 1: Die knielangen Westen des 17. Jahrhunderts wurden nicht bis ganz zugeknöpft, da sie sonst beim Gehen behindert hätten. Nr. 2: Der englische König Edward VII. soll als Prince of Wales einmal vergessen haben, den letzten Knopf der Weste zu schließen, was dann von aller Welt kopiert wurde.
7. Kartoffeln nie mit dem Messer schneiden
Veraltet, stammt aus der Zeit, als Silberklingen durch Kartoffelstärke anlaufen konnten.
8. Immer Kniestrümpfe
Zur Abend- und Businessgarderobe gilt das uneingeschränkt. Zwar ist ein trainiertes, braungebranntes Männerbein kein unästhetischer Anblick, dennoch sollte es im Sitzen nicht zwischen Oberkante Kurzsocke und Unterkante Hosensaum herausschauen.
9. Handkuss nie unter freiem Himmel
Korrekt, wer einer Dame die Hand küssen will, sollte dies in Innenräumen tun. Wichtig: Die Lippen dürfen die Hand nicht berühren.
10. Dinnerjacket nur auf hoher See
Falsch, man zieht es auch bei sommerlichen Abendanlässen unter freiem Himmel an.
11. Zum Frack die weiße Schleife, zum Smoking die schwarze
Genau so ist. Warum? Beim Frack kann man so den Gast vom Servicepersonal unterscheiden, das trägt nämlich stets die schwarze Schleife zum Frack.
12. Smoking nie am Tage
Korrekt, der Smoking ist ein Abendanzug. Demzufolge trägt man ihn auch nicht zur Hochzeit am Tage. In den USA sieht man das anders, dort ist der Tuxedo (so der US-Ausdruck für Smoking) Standarddress für die Vermählung.
13. Aufstehen, wenn eine Dame den Raum betritt
Sollte man nach wie vor tun. Allerdings im vernünftigen Rahmen. Also bitte nicht wie ein Springteufel hochschnellen, wenn eine wildfremde Frau das Restaurant betritt.
14. No Sports
Beliebter Vorwand für faule Säcke, mit Gentleman hat das nichts zu tun. Winston Churchill, dem dieses Diktum zugesprochen wird, ist noch mit über Siebzig Fuchsjagden geritten. Ganz unfit kann er also nicht gewesen sein.
15. Bei Tisch nie das Sakko ablegen
Mag altmodisch erscheinen, ist in besseren Restaurants aber immer noch angesagt. Wobei es heute ja diverse Outfits gibt, mit denen man auch ohne Sakko gut angezogen ist. Aber wenn man es trägt, dann bitte auch dabei bleiben.
16. Genießen und schweigen
Genau so macht es der Gentleman. Diskretion ist oberstes Gebot im Umgang mit Damen.
17. Schuhe stets auf Hochglanz
Diese Forderung stammt aus Zeiten, als der feine Herr die Schuhe putzen ließ, Menschen mit engem Terminkalender fehlt dagegen oft die Lust auf die Polier-Arie. Rettung bringen Raulederschuhe, denn der Pflegeaufwand ist minimal.
18. Anstoßen nur mit perlendem Wein
Galt früher, ist mittlerweile veraltet.
19. Zweireiher im Stehen stets zugeknöpft tragen
Die Italiener sehen diesen Punkt nicht so eng, aber sie lieben es ja auch, die Kragenspitzen ihrer Buttondownhemden nicht anzuknöpfen. Letztlich ist es eine Frage, wie der Doppelreiher verarbeitet ist. Bei schneidermäßiger Machart stehen die Vorderteile nicht ab, sondern schmiegen sich auch ohne Knöpfe an den Körper, nur bei billigen Anzügen stehen sie wie Scheunentore auf.
20. Zum Haifischkragen nur Windsorknoten
Das ist Unsinn, auch in der weiten Öffnung eines Haifisch- oder Cutaway-Kragens sieht der schlankere Four-in-hand-Knoten gut aus. Das dachte übrigens wohl auch der Duke of Windsor, nach dem der doppelte, V-förmige Knoten benannt wurde. Fotoaufnahmen beweisen, dass er selbst die einfache Schlingung bevorzugte.
21. Schleife immer selbstgebunden
Kein stilbewusster Mensch würde sich eine vorgebundene Krawatte an den Hemdkragen pinnen, bei der Schleife (oder auch Fliege) finden es dagegen die meisten normal. Stilvoll ist die vorgebundene Variante aber auch da nicht. Warum? Prefab ist phantasielos, in der Küche wie in der Garderobe. Und Schleife binden ist genauso leicht zu lernen wie Schnürsenkel binden.
22. Den Schirm immer zusammengerollt tragen
Abgesehen davon, dass der moderne Gentleman nur noch selten einen Stockschirm mit sich führt, ist diese Regel obsolet. Es sei denn, Sie sind englischer Gardesoldat in Zivil, bei denen ist nur die eng gerollte Gewitterflinte comme il faut.
23. Keine Lederflecken am Ärmel neuer Tweed-Sakkos
Richtig. Würden Sie sich ein Pflaster auf die Haut kleben, auch wenn Sie sich gar nicht verletzt haben?
24. Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige
Wer zu spät kommt, vergeudet anderer Leute Zeit. Deshalb wenigstens anrufen oder eine SMS schicken, wenn Sie im Stau stehen. Schlimmer, als nach der Zeit aufzutauchen, ist übrigens verfrühtes Erscheinen.
25. Weingläser nur am Stiel anfassen
Richtig, denn dafür ist er da. Bei Weiß- und Schaumwein soll er verhindern, dass der kühle Tropfen durch die Hand warm wird. Außerdem sehen Fingerabdrücke auf edlem Glas nicht besonders appetitlich aus.
26. Tweedanzüge und Maßschuhe vom Butler eintragen lassen
Schwer zu sagen, ob das früher wirklich mal üblich war. Entsprechende Anekdoten gibt es einige, allerdings widersprechen sie der Idee von Maßkleidung. Leute, die sich einen Butler leisten konnten, trugen eigens für sie gefertigte Kleidung. Und die passt von Anfang an.
27. Nie die Knöpfe am Sakkoärmel offen lassen
Bei den Briten gilt es als prahlerisch, wenn man sie offen lässt, um auf die Provenienz des Anzugs hinzuweisen. Italienische Herren sehen das entspannter, sie nutzen den offenen Ärmelschlitz als Stilmittel. Fazit: Jeder, wie er mag.
28. Streifen auf der Krawatte nur vom eigenen Club oder Regiment
Ursprünglich ließen sich alle Streifendessins einem Club, Regiment, College oder Internat zuordnen, heute sind die Farbzusammenstellungen auf dem Binder reines Modedesign. Wählen Sie also nach Belieben aus.
29. Man wünscht nicht mehr guten Appetit
So die einhellige Meinung der Knigge-Experten. In Upperclass-Kreisen mag das stimmen, bei den meisten anderen Leuten wäre es eine Unhöflichkeit, wortlos zu beginnen. Deshalb je nach Umgebung so oder so handhaben.
30. Zum Doppelreiher Hosen stets mit Umschlag
Kein Muss, jedenfalls gibt es keinen sachlichen Grund dafür.
31. Nie die Milch zuerst in die Teetasse, immer umgekehrt
Bei den Briten gilt es als besonders fein, zuerst den Tee einzugießen, so macht es z. B. der Kellner, wenn er Ihnen im Londoner Nobelhotel Claridge’s den Afternoon Tea kredenzt. Die so genannten „kleinen Leute“ bevorzugen angeblich die praktischere Methode, erst die Milch in die Tasse zu geben.
32. Auf der Treppe nie hinter einer Dame gehen
Hintergrund der Regel war, dass man einer Frau beim Hinterhergehen nicht auf Beine und Po starren soll. Andererseits kann es fürsorglich gemeint sein, wenn der Herr auf einer schmalen Stiege sichernd hinten bleibt. Im Zweifel lieber nebeneinander hergehen.
33. Abends zum Anzug weißes Hemd
Richtig. Das hellblaue Businesshemd, einfarbig oder gestreift, gilt für den Abend als nicht fein genug. In Zeiten, da viele Männer bei der abendlichen Freizeit lieber T-Shirts tragen, mag diese Regel absurd erscheinen, der Gentleman beherzigt sie.
34. Am stilvollsten ist der Maßanzug vom Vater oder Großvater
Typisch englische Snob-Idee. Denn im Umkehrschluss sind Herren in selbst gekauften Maßanzügen Emporkömmlinge. Man darf durchaus fragen, was an einem Maßanzug stilvoll sein soll, der kaum richtig passen dürfte.
35. Beim Betreten eines Hauses den Hut abnehmen
So will es die Hut-Etiquette. Wobei öffentliche Gebäude wie z. B. Bahnhöfe aus praktischen Erwägungen nicht als Haus gelten, schließlich wäre es äußerst lästig, wenn man neben seinem Koffer auch den Hut in der Hand halten müsste. In Fahrstühlen werden Hüte auch nicht abgenommen, hier aus Platzgründen.
36. Kein Schmuck
Diese Regel gilt nur für Schmuck, der nicht ins traditionelle Bild passt, also Ohrringe, Armreifen, Handgelenkkettchen, sichtbare Halsketten, Piercings und Brillis im Nasenflügen. Sehr wohl erlaubt sind dagegen Siegel- und Wappenringe, der Trauring sowie ein einzelner Schmuckring. Ansonsten darf sich der Gentleman nur noch mit Manschettenknöpfen und Uhr schmücken.
37. Bei Regen immer Wachsjacke
Es gibt seit langem bessere Methoden, Textilien regendicht zu machen, die gewachste Jacke genießt unter Traditionalisten dennoch weiter Kultstatus. Der moderne Gentleman hat jedoch keine Probleme mit einem Regenmantel aus Synthetik und beim Sport haben Funktionsmaterialien ohnehin Vorrang.
38. Verschlissene Kragen und Manschetten sind beim Hemd ein Zeichen von Stil
Das gilt nur in England und in Adelskreisen (siehe auch Nr. 34), wo Abgenutztheit als Patina gilt und Hinweis auf altes Geld. Ansonsten wirkt man mit einem schäbigen Hemd einfach nur ungepflegt.
39. Der Gentleman muss Pferde und Hunde lieben
Humbug, schließlich leben wir nicht mehr im England der Zwanziger Jahre. Bei den Briten zählt es allerdings nach wie vor zum guten Ton, dass man reiten kann und Hunde hält.